Am Ende eines Holzpfades auf Amrum steht ein Leuchtturm. © picture alliance / Westend61 Foto: Ega Birk

Kolumne: Der Mythos vom "ankommen"

Stand: 04.05.2024 05:00 Uhr

"Wenn ich dann endlich mehr Zeit habe, wird alles besser" - wir alle kennen solche "Wenn-Dann-Phrasen". Manche warten ihr Leben lang, ob auf Reichtum, Ruhe oder die Rente. Unsere Kolumnistin fragt sich, was es mit der Illusion des Ankommens auf sich hat - oder besser der Desillusion.

von Stella Kennedy

Die Saison der Staus hat begonnen. Auf den Straßen unseres Landes stehen wieder die Autos und in ihnen wir, die wir doch nur einfach an den Strand, ans Ziel wollen. Ist das nicht die perfekte Überleitung für Überlegungen zum Leben? Für diesen gewissen Zustand zwischen Start und Ziel? Denn auch auf dem Ritt zwischen Geburt und Tod gibt es doch gewisse Ziele, oder besser Meilensteine, die uns das System - und wir uns selbst - aufdrücken. Der Schulabschluss, die Ausbildung, Auto, Haus, Kinder - die meisten Biografien, die mir begegnet sind, hangeln sich an diesen Wegmarken entlang - meine eigene inbegriffen. Und immer ist das nächste Ziel mit einer Erwartung verknüpft, die nur enttäuschen kann. Ein auswegloses Dilemma, oder?

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Wenn die Euphorie ausbleibt

"Wenn wir dann erstmal in die größere Wohnung gezogen sind und die Kinder im Kindergarten sind, dann kommt Ruhe rein, dann kann ich durchatmen, bin endlich angekommen". Genau das habe ich schon vor Jahren allen und vor allem mir selbst erzählt. Warum ich aber immer noch nicht zufrieden bin, obwohl das Ziel längst erreicht wurde, das will Glücksforscher Tal Ben-Shahar mit der "Arrival Fallacy", dem "Ankunftstrugschluss", erklärt haben. Der von dem Harvard-Psychologen geprägte Begriff bezieht sich auf die falsche Überzeugung, dass das Erreichen eines bestimmten Ziels zu langfristigem Glück führen wird.

"Ein gemachter Mann"

Dass wir das glauben, kommt auch nicht von ungefähr. Redewendungen wie "sie hat es geschafft", "er ist ein gemachter Mann", "sie hat alles erreicht" und ist "ganz oben angekommen" beschreiben die gedanklichen Bilder von aufwärts und hoch hinaus, denen wir alle unterworfen sind. Als sei das Leben eine Bergwanderung, jeder Meilenstein ein Basecamp und das ultimative Ziel der Gipfel. Die Spitze, auf der wir dann konstant verbleiben: Happy End. Welche Ernüchterung also, wenn das nicht so eintrifft.

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Und jetzt? Ratschläge aus der Glücksforschung

Dabei sagt die Glücksforschung nicht, dass wir uns keine Ziele setzen sollten. Sich zum Beispiel erst gar nicht ins Auto an den Strand setzen, weil man ja in einen Stau geraten könnte. Nein, sich Pläne zu machen und auf diese hinzuarbeiten, sei für die persönliche Entwicklung gut, sagen die Experten. Es gehe nur darum, den endlosen Zyklus zu unterbrechen, der nach Ziel-Erreichung einsetzt. Dass man monatelang für den Marathon trainiert, aber nach der Überquerung der Ziellinie und dem Verheilen der Blasen an den Füßen fragt: "Und was kommt als Nächstes?".

Nach dem Berg ist vor dem Berg

Dass wir also auf Krampf versuchen, das schale Gefühl der Leere, was durch die Lücke des erreichten Zieles entstanden ist, mit immer noch mehr (ehrgeizigeren) Zielen zu füllen. Also den nächsten Berg besteigen wollen oder wenn wir dann endlich am Strand sind, schon wieder das nächste Wochenende planen. Sie ahnen es schon: Wie bei den meisten Tipps rund ums Glück heißt der Schlüssel wieder: Zurück in die Gegenwart kommen. Denn wenn wir uns wieder mal erzählen: "Wenn ich dann wieder mehr Zeit habe, in der größeren Wohnung lebe, mehr Geld habe", dann schieben wir es damit ja nur auf, das eigene Glück.

Jetzt! Nicht irgendwann

Das Gegenmittel, so die Ratgeber, ist das Hier und Jetzt. Anstatt auf die Zukunft ausgerichtet, soll man vollständig im gegenwärtigen Moment sein. Das gilt auch für den Stau. Statt bloß nervig und unnötig kann die ungeplante Zeit eine kostbare Pause sein, eine Chance zur Reflexion. Ich weiß selbst, dass das bei schreienden Kindern auf der Rückbank oder einer kaputten Klimaanlage eine Herausforderung sein kann. Am Ende aber ermöglicht diese Perspektive uns nicht nur Ziele zu setzen, sondern auch Freude an den kleinsten Schritten unterwegs dorthin zu empfinden. Der Weg ist das Ziel, Sie wissen schon. Und dass ich Texte wie diesen schreibe, um mir selbst immer wieder zu versichern, dass ich ja schon längst "angekommen" bin, schon immer angekommen war, müsste ich vielleicht gar nicht erst erwähnen.

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