Eine rote Mohnblume auf einer ukrainischen Militäruniform

8. Mai in der Ukraine Schritt für Schritt weg von Russland

Stand: 08.05.2024 11:42 Uhr

9. Mai - in Russland ist das seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs der "Tag des Sieges". Lange war das auch in der Ukraine der Fall. Um auf Distanz zum Angreifer zu gehen, verlegte die Ukraine aber den Feiertag.

Von Marc Dugge, NDR, zzt. Kiew

Der neue Feiertag ist wieder ein Schritt für die Ukraine: Ein Schritt weg von Russland hin Richtung Europa. Über Jahrzehnte war in der Ukraine der 9. Mai der Tag des Gedenkens an die Opfer des Zweiten Weltkriegs, so wie in Russland.

Als Vertreter der Wehrmacht am 8. Mai 1945 in Berlin spätabends die Kapitulationsurkunde unterschrieben, war in Moskau nämlich schon der neue Tag angebrochen. Für die Führer der Sowjetunion war die Uhrzeit in Moskau entscheidend, nicht die in Berlin. Russland hat daran auch später nichts geändert.

Die Ukraine hat im Zweiten Weltkrieg besonders gelitten

Mit Russland will man heute in der Ukraine aber weniger zu tun haben denn je. Daher also neue Gedenktag am 8. Mai - so wie in den meisten anderen Ländern.

Die 25-jährige Chrystyna aus Kiew findet das gut: "Wir versuchen uns von der russischen Welt zu trennen. Wenn wir dieses Datum auf den 8. Mai verlegen - warum nicht?" Ihre Bekannten aus Russland, mit denen sie früher in Kontakt war, wüssten nicht, dass die Ukrainer den 9. Mai auch feiern - sie dachten, dass es nur ihr Feiertag sei. "Wir können so unterstreichen, dass auch wir diesen Gedenktag haben und ihn nur ein bisschen früher begehen."

Die Ukraine hat unter dem Zweiten Weltkrieg besonders gelitten. Hitler hat hier mehr Zerstörung angerichtet als in jedem anderen europäischen Land. Hunderte Städte und Tausende Dörfer wurden teilweise oder sogar vollständig zerstört, 40 Prozent aller Wohngebäude in Trümmer gelegt. Acht bis zehn Millionen Menschen sind nach offiziellen ukrainischen Angaben gestorben, die meisten von ihnen Zivilisten.

"Wie können unsere besten Freunde so hirnverbrannt sein?"

Nun sorgt Russland dafür, dass in der Ukraine wieder Krieg herrscht. Die 91 Jahre alte Dina Schevschenko aus Kiew drückt das so aus: "Diejenigen, die diesen Krieg überlebt haben, dachten, dass nichts schlimmer sein könnte. Hätte ich gedacht, dass ich mit 90 Jahren noch einmal darüber nachdenken muss? Wie können unsere besten Freunde so hirnverbrannt sein?"

Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj sagte dazu am 8. Mai vergangenen Jahres: "All das alte Böse, das das moderne Russland zurückbringt, wird besiegt werden, so wie der Nazismus besiegt wurde. Im Gegensatz zu unseren Idealen hat dieser Feind erneut Aggression und Annexion, Besatzung und Deportation, Massenmord und Folter ins Visier genommen. Er bombardiert Städte und brennt Dörfer nieder. Unser Sieg wird die Antwort auf all dies sein."

Selenskyjs Initiative

Es war Selenskyjs Wille, den 8. Mai zum gesetzlichen Feiertag zu machen. Schon seit 2016 wurde dieser Tag in der Ukraine als "Tag des Gedenkens und der Versöhnung" begangen, der 9. Mai traditionell als "Tag des Sieges über den Nationalsozialismus". Selenskyj schlug vor, beide Gedenktage zu kombinieren und auf den 8. Mai zu legen. Das ukrainische Parlament beschloss den neuen Feiertag Ende Mai vergangenen Jahres per Gesetz.

Während Putin in Moskau das Kriegende mit einer Militärparade würdigt, findet das Gedenken in der Ukraine in aller Stille statt. Hier gedenkt man nicht nur der Verbrechen des Nazi-Regimes, sondern auch derer der Kommunisten.

Gerade für ältere Ukrainer ist der Feiertagswechsel noch ungewohnt, bricht er doch mit jahrzehntelangen Gewohnheiten. Die Mehrheit der Bevölkerung hat Selenskyj aber offenbar hinter sich: In einer Umfrage des Kiewer Internationalen Instituts für Soziologie vom Januar 2023 waren 62 Prozent der Befragten dafür, am 8. Mai des Endes des Zweiten Weltkriegs zu gedenken. Nur 22 Prozent wollten am 9. Mai festhalten.

9. Mai nun "Europatag"

Auch die Passanten Andrij und Jelysaweta finden das grundsätzlich gut: "Es ist ein Teil der Kultur, der uns der westlichen Welt näherbringt. Ich denke, jeder Mensch geht dorthin, wo er sich wohler fühlt, auf die eine oder andere Seite. Das ist nur menschlich", sagt Andrij.

Jelyzaweta hat kein Problem damit, dass der Feiertag verlegt wird, allerdings glaubt sie nicht, dass das grundlegende Veränderungen mit sich bringen wird: "Ich meine, es ist anders als die russischen Traditionen, und wir müssen uns irgendwie von denen lösen."

Aber auch der 9. Mai ist in der Ukraine künftig ein besonderer Tag - wenn auch kein Feiertag. Dann begeht das Land künftig wie andere Länder Europas den "Europatag". Das hat Präsident Selenskyj vor einem Jahr per Dekret beschlossen. Das Ziel: "Die Einheit der Völker Europas zu stärken und Frieden und Stabilität auf dem europäischen Kontinent zu gewährleisten". Noch so ein Schritt Richtung Europa.

Marc Dugge, ARD Kiew, tagesschau, 08.05.2024 10:34 Uhr